Der Ausbau von Photovoltaik im Versorgungsgebiet von Primeo Energie brummt – und bringt die Verteilnetze an neue Grenzen. Lukas Küng, Geschäftsführer der Primeo Netz AG, und Christof Bucher, Leiter des Labors für Photovoltaiksysteme an der Berner Fachhochschule in Burgdorf, sprechen über Ängste, Chancen, Batteriespeicher und die Frage, warum grosse PV-Anlagen trotzdem sinnvoll bleiben.

Fragen und Bilder: Andreas Schwander

Wie hat sich der Ausbau von Photovoltaik im Primeo Energie-Verteilgebiet in den letzten 10 Jahren entwickelt?

Lukas Küng: Das ging ziemlich rasant. Wir hatten bereits um 2012 einen ersten kleinen Boom, weil wir damals eine relativ hohe Rückvergütung angeboten hatten. Danach war es einige Jahre etwas ruhiger – und ab etwa 2019 ging die Kurve steil nach oben.

Lukas Küng betont, dass der Stromverbrauch von Wärmepumpen ausschlaggebend ist für die Netzplanung.

Herr Bucher, hat man diese Entwicklung in diesem Ausmass vorausgesehen?

Christof Bucher: In der Form sicher nicht. Die sinkenden Modulpreise hat man kommen sehen. Was kaum jemand auf dem Radar hatte, war die psychologische Komponente: Corona, Lieferengpässe, Diskussionen um Versorgungssicherheit – plötzlich waren Dinge nicht mehr selbstverständlich. Das hat Photovoltaik besser verkauft als jede Förderung. 2022 hat der Krieg in der Ukraine dieses Gefühl zusätzlich verstärkt: ‹Wenn ich meinen eigenen Strom produziere, bin ich weniger ausgeliefert.› Salopp gesagt: Bis 2019 haben die Überzeugung und die Aussicht auf Rendite Photovoltaik verkauft. Danach war es die Angst. Und Angst ist ein viel besserer Verkäufer als Vernunft.

Christof Bucher: «Bis 2019 hat die Überzeugung Photovoltaik verkauft. Ab 2019 war es die Angst.»

«Wir können nicht überall dickere Kabel in den Boden legen, damit die allerhöchste Leistungsspitze noch ins Netz passt.»
Christof Bucher

Wer investiert heute vor allem in PV – und wo entstehen die Anlagen?

Lukas Küng: Es läuft quer durch die Bevölkerung: Einfamilienhaus-Besitzerinnen, Landwirtschaft, Gewerbe, zunehmend auch Mehrfamilienhäuser. Wir sehen klare Cluster: typische Speckgürtel-Gemeinden mit hoher Kaufkraft und viel Dachfläche, etwa Biel-Benken. Aber auch in Lupsingen ist der PV-Anteil auf den Dächern schon sehr hoch – und dort spüren wir die Auswirkungen im Netz am stärksten.

Welche Folgen hat dieser PV-Boom für die Verteilnetze?

Lukas Küng: Das Hauptthema sind weniger überlastete Leitungen, sondern die Spannung. Viele Anlagen in einem Quartier heben die Spannung im Ortsnetz an – speziell an sonnigen Tagen. Dann müssen wir eingreifen: mit regelbaren Trafostationen, zusätzlichen Ortsnetzstationen oder, wo nötig, auch mit Abregelung. Das ist bereits alles technisch möglich.

Christof Bucher: Hier kommt ein wichtiger Punkt: Es geht nicht darum, PV auszubremsen. Wir können jedoch nicht überall dickere Kabel in den Boden legen, damit die allerhöchste Leistungsspitze eines sonnigen Tages noch ins Netz passt. Das wäre volkswirtschaftlich unsinnig. Wir müssen uns bewusst werden, dass nicht jede Kilowattstunde zählt. Wenn Wasserkraftwerke zu viel Wasser haben, verstromen sie es auch nicht, sondern lassen es den Bach runter.

Christof Bucher, vorne links: «Wir müssen nicht das Netz gemäss der Leistung der PV ausbauen. Was zu viel ist, braucht man vor Ort, oder schaltet man ab.»

Abregelung von PV-Anlagen – das klingt für viele nach massivem Eingriff. Ist das legitim?

Christof Bucher: Wenn man jemandem 100 Prozent der Einspeisung wegnimmt, ist das ein starker Eingriff. Wenn man aber nur die obersten 40 oder 50 Prozent der seltenen Einspeisung kappt, ist das etwas ganz anderes. Der Energieverlust über das Jahr ist klein, der Nutzen fürs Netz riesig. In ein paar Jahren wird man sich fragen, warum wir so lange am Dogma festgehalten haben, jede Kilowattstunde um jeden Preis ins Netz drücken zu müssen.

Lukas Küng: Das neue Stromgesetz erlaubt eine Abregelung auf 70 Prozent der Leistung. Damit können wir an vielen Stellen teure Netzverstärkungen vermeiden – ohne dass sich die Wirtschaftlichkeit für die Kundinnen und Kunden fundamental verschlechtert.

Wie reagieren Sie als Netzbetreiber sonst noch auf den PV-Ausbau? Reicht klassischer Netzausbau?

Lukas Küng: Unsere Philosophie ist: Wir bauen das Netz primär für die Last, nicht für jede Einspeisespitze. Wir planen heute bereits mit einem hohen Anteil an Wärmepumpen und an Elektromobilität – das sind die neuen grossen Verbraucher.

Christof Bucher: Und da kommen Speicher ins Spiel. Die Preise für Heimspeicher sind massiv gefallen, die Technik ist ökologisch besser geworden. Viele frühere Business Cases werden von einfachen Batterielösungen verdrängt. Das ist ein Gamechanger.

Lukas Küng: In einem Projekt haben wir unsere Elektroauto-Flotte netzdienlich geladen und gerechnet, wie viel wir mit cleverer Steuerung sparen. Am Ende zeigte sich: Eine zusätzliche stationäre Batterie mit rund 50 Kilowattstunden wäre einfacher gewesen – und finanziell praktisch gleich gut.

Können Speicher den Netzausbau teilweise ersetzen?

Christof Bucher: Private Batterien sind aus Netzsicht hochattraktiv, wenn sie helfen, Spitzen zu kappen – sowohl beim Bezug als auch bei der Einspeisung. Dafür braucht es aber klare Regeln und Tarife, die dieses Verhalten belohnen.

Lukas Küng: Aus unserer Sicht nicht. Das Auslegekriterium ist eine Kälteperiode von 1-2 Wochen und da sind alle heutigen Heimspeicher längst leer.

Primeo Energie bietet mit dem Wahltarif Primeo SolarAktiv seit zwei Jahren einen netzdienlichen Einspeise-Tarif an. Von 12 bis 15 Uhr ist der Einspeisetarif deutlich tiefer, in den Zeiten vorher und nachher deutlich höher. Was bringt er konkret?

Lukas Küng: Der Wahltarif setzt Preissignale: Wer seine Einspeisung stärker in Zeiten mit hoher Netzbelastung verschiebt, profitiert finanziell. Das ist ein Schritt weg vom starren Tag/Nacht-Schema hin zu einem Tarif, der das Netz entlastet. Noch sind zu wenige Kundinnen und Kunden dabei, aber technisch sind wir bereit, via einer API-Programmierschnittstelle ein Preissignal an die Heim-Energiemanagementsysteme zu liefern, welche die PV-Anlage und Gebäude komplett automatisch steuern. 

Ab dem 1.1.2026 bietet Primeo Energie ausserdem mit dem Wahltarif Primeo NetzDynamisch einen weiteren netzdienlichen Tarif an, nun für den Verbrauch und nicht die Einspeisung. Was bringt dynamische Wahltarif dieser konkret?

Lukas Küng: Auch dieser Wahltarif setzt wieder Preissignale, das Netz zu Zeiten mit niedrigem Verbrauch zu belasten. Die Tarife werden jeweils am Vorabend um 18 Uhr publiziert und gelten für einen Tag. Natürlich kann man seine Anlagen auch von Hand steuern, aber auch hier lässt sich dies via API automatisch an das Energiemanagementsystem der Kundschaft übertragen. Der Tarif ist kombinierbar mit dem Einspeisetarif. 

«Unser Wahltarif setzt Anreize zu netzdienlichem Verhalten für Betreiberinnen und Betreiber von PV-Anlagen», betont Lukas Küng.

Warum sieht man kaum Kampagnen à la «Waschmaschine am Mittag laufen lassen»? Das Mantra «nachts waschen» scheint tief zu sitzen.

Christof Bucher: Verhalten zu ändern ist zäh. Viel wirksamer ist es, die Geräte so zu steuern, dass sie automatisch zu den richtigen Zeiten laufen.

Wie verändert die Strommarkt-Liberalisierung ihre Überlegung?

Lukas Küng: Die Liberalisierung betrifft primär den Energiepreis, weniger den Netztarif. Beides zusammen macht knapp je zur Hälfte den Strompreis aus. Wir bereiten uns darauf vor, indem wir Netztarife und Steuerungsmöglichkeiten so gestalten, dass sie mit neuen Marktlösungen zusammenspielen.

Christof Bucher: Das Netz bleibt ein natürliches Monopol. Umso wichtiger ist, dass Netzbetreiber einen klaren Rahmen vorgeben dürfen, wie sich private Stromproduzentinnen und -produzenten netzdienlich zu verhalten haben – und dafür fair entschädigt werden.

Christof Bucher: «Meine Empfehlung an Leute, die sich für eine PV-Anlage entscheiden: Baut so gross wie nur möglich. Wir haben noch lange nicht genug Winterstrom und abschalten kann man immer.»

«Photovoltaik ist auch eine Versicherung gegen die Willkür diktatorischer Petrostaaten.»
Christof Bucher

Was empfehlen Sie Menschen, die in den nächsten Monaten eine PV-Anlage bauen wollen?

Christof Bucher: Sie sollen so viel PV wie möglich bauen – auf Dach und Fassade. Wir reden in der Schweiz über eine massive Elektrifizierung von Heizung und Mobilität, wir werden jede Winterkilowattstunde brauchen. Die Überproduktion im Sommer kann man abschalten oder in Elektroboilern oder Schwimmbädern verheizen.

Lukas Küng: Solarstromproduzentinnen und -produzenten sollen den Eigenverbrauch konsequent mitdenken – mit Speicher, Wärmepumpe, Elektroauto und einem Tarif, der das unterstützt. Wer nur auf hohe Rückliefertarife spekuliert, denkt zu kurzfristig. Und man muss die Anlagen so auslegen, dass sie in Zukunft steuerbar sind mit Schnittstellen, Messungen und kompatiblen Wechselrichtern. Wer sich so flexibel aufstellt, wird von netzdienlichen Tarifen und neuen Einspeisemodellen am meisten profitieren.

Viele sehen PV immer noch primär als Geldmaschine auf dem Dach. Ist das die falsche Sicht?

Christof Bucher: Das ist zumindest unvollständig. Die Rendite von PV-Anlagen ist heute nur mit ausreichend Eigenverbrauch berechenbar. Gleichzeitig ist sie auch eine Versicherung. Und wir Schweizerinnen und Schweizer lieben Versicherungen. Sie ist eine Versicherung gegen steigende Energiepreise. In Kombination mit Speichern eine Versicherung gegen Blackouts. Und eine Versicherung gegen die Willkür diktatorischer Petrostaaten, die Energie als Waffe sehen. Jedes installierte Modul liefert 30 Jahre lang Strom. Diesen Strom kann uns niemand abdrehen.

PV Dach

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