In den vergangenen Jahren sind Elektroautos alltagstauglich geworden. Entsprechend überlegen sich immer mehr Autokäuferinnen und Autokäufer, ob sie den Sprung in die elektrische Welt wagen sollen. Allerdings gelten jahrzehntealte Orientierungsmarken nur noch bedingt. Hier sind ein paar Wegweiser.
Wofür brauche ich das Auto?
Wohnwagen ziehen können praktisch alle mittleren Elektroautos, Allradantrieb gibt’s nur bei den wenigsten. Für die Reichweite entscheidend ist die Form. Der aerodynamische Hyundai Ioniq 6 hat mit derselben Technik etwa 100 Kilometer mehr Reichweite als der kantige Ioniq 5. SUVs sind deshalb entsprechend benachteiligt. Neben den Koreanern pflegen auch Mercedes, Audi und einige andere Hersteller wieder das elegante «Grand Coupé»: viertürige niedrige Autos mit fliessenden Linien und grosser Heckklappe, wie etwa die Modelle S und 3 von Tesla oder auch der aerodynamisch sehr gelungene Mercedes EQS.
Der elegante Mercedes EQS ist aerodynamisch unterwegs.
Die Frage ist auch, wo man laden kann. Wer zuhause über Nacht laden kann, fährt am günstigsten und ist deshalb auch mit einem Auto mit kleinerer Ladegeschwindigkeit gut bedient. Wer auf öffentliche Ladesäulen angewiesen ist, sollte sich vor allem daran an der schnellen Lademöglichkeit des Autos orientieren. Die grosse Diskussion bei Elektroautos dreht sich immer um die Reichweite. Dabei ist diese für geübte E-Autofahrerinnen erstaunlich nebensächlich. Die schnellsten «Lader» der Branche sind oft Autos von koreanischen Herstellern. Ihnen reicht ein Toilettenhalt an der Raststätte, um die Batterie in 20 Minuten wieder auf 80 Prozent zu laden und so wieder 500 Kilometer Reichweite zu bunkern. Wer sich also etwas umgewöhnt, ist bald so geübt, dass er die berühmte Reichweitenangst nie spürt. Hohe Ladegeschwindigkeiten haben vor allem neuere teurere Modelle, nun aber auch der neue Citroën ë-C3, der gegenwärtig als einer der günstigsten neuen Elektrofahrzeuge gilt.
Wie viel Platz und reicht ein Plug-in-Hybrid?
Die Schweiz und Deutschland sind Kombiländer, die restliche Welt immer weniger. Weil im Rest der Welt SUVs viel populärer sind als Kombis, vermeiden viele Hersteller den kostspieligen Werkzeugbau für die Herstellung regionaler Modelle und versuchen, die Europäer von ihren geliebten Kombis wegzulocken. Viele Kombifahrer sind deshalb in den letzten Jahren auf die schwereren und energiehungrigeren SUVs umgestiegen, die aber oft weniger Platz bieten als die klassischen Kombis. Bisher gab es deshalb kaum elektrische Kombis, aber sehr viele elektrische SUVs. Nun ändert sich das langsam. Den klassischen französischen Riesenkombi gibt’s aus der Fabrik in Mulhouse mit dem Peugeot 508 SW zumindest als Plug-in-Hybrid mit Benzin- und Elektromotor und einer elektrischen Reichweite von etwa 50 Kilometern. Auch den legendären VW Passat gibt es in dieser Version mit Benzinmotor und Elektroantrieb. Allerdings setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass diese Technik eher das Schlechte aus beiden Welten vereinigt und tendenziell verschwinden wird. Trotzdem – diese Autos werden gebaut und vor allem auch für Dienstwagenflotten gekauft. Sie tauchen nun auch immer mehr in den Märkten für gute Occasionen auf. Wer oft kurze Strecken fährt und über Nacht zuhause laden kann, ist damit sehr gut bedient und fährt dann oft wochenlang nur elektrisch, während auf langen Ferienfahrten alles so funktioniert wie früher.
Der Peugeot 508 SW trumpft als Plug-in-Hybrid und einer elektrischen Reichweite von rund 50 Kilometern.
Kombi oder Hochdachkombi?
Kombis haben als Stromer gegenüber SUVs den Vorteil, dass sie bei gleichem Platzangebot tendenziell leichter sind, einen kleinen Luftwiderstand und damit mit gleicher Batterie mehr Reichweite haben. Lange war der MG5 in diesem Segment allein. Doch nun haben nach langem Zögern Peugeot mit dem 308 SW, VW mit dem Passat-artigen ID.7 sowie Opel mit dem Astra Tourer und BMW mit dem i5 mit eigenen Kombis nachgezogen.
Wer nur viel Platz braucht, aber bei Dingen wie Komfort, Höchstgeschwindigkeit und sehr grosser Reichweite Abstriche machen kann, ist unter Umständen mit einem elektrischen Hochdachkombi gut bedient. Sie sind geräumig, aber deutlich billiger als Kombis und SUVs. Urvater der «Fourgons» ist der Kasten-Döschwo, der seine Gene an die heutigen Hochdachkombis bei Opel, Peugeot, Renault oder Nissan weitergegeben hat. Diese sind primär für Handwerker gedacht und haben oft sogar eine 220-Volt Haushaltsteckdose, um Bohrmaschinen und ähnliches aufzuladen. Viele Hersteller haben deshalb mittlerweile auch eine breite Palette an elektrischen Nutzfahrzeugen, die von Autokäuferinnen und Autokäufern oft übersehen werden, obwohl sie vielleicht exakt genau ihre Bedürfnisse abdecken würden. In der familienfreundlichen Variante haben elektrische Hochdachkombis mehr Sitze, sehr viel Platz und sind oft deutlich günstiger als elektrische SUVs oder Kombis – mit dem Kompromiss von kleineren Batterien und weniger Reichweite. Gleiches gilt für die etwas grösseren Handwerkerbusse, die es mittlerweile ebenfalls elektrisch gibt.
Auch Opel ist mit seinem Astra Tourer als Elektro-Kombi auf der Überholspur.
Kann es auch ein Gebrauchter sein?
Oft scheuen Autokäuferinnen elektrische Occasionen, weil ein Batteriewechsel prohibitiv teuer wäre. Allerdings gibt es mittlerweile Teslas mit mehr als einer halben Million Kilometer, deren Batterien kaum Alterungserscheinungen zeigen. Zudem ist bei älteren Teslas oft noch die Energie lebenslang inbegriffen, was einen Kauf zusätzlich attraktiv machen kann. Wer schenkt einem schon lebenslang Diesel und Benzin für einen Verbrenner.
Der Nachteil an Gebrauchten ist der gigantische Fortschritt der letzten Jahre, den man unter Umständen verpasst. Andererseits gibt es das nach wie vor intelligenteste Elektroauto – den vor elf Jahren lancierten BMW i3 nur noch gebraucht. Er ist leichter als die meisten Verbrenner-Kleinwagen und braucht auch dank seinen schmalen Rädern nur sehr wenig Energie. Sein Innenraum wurde so konsequent auf Elektroantrieb ausgelegt, dass er viel mehr Platz bietet als manches wesentlich grössere Auto. Der i3 kann in dieser Hinsicht sogar mit SUVs und Kombis mithalten. Ähnlich sinnvolle und kompakte Elektroautos sind von Citroën oder Dacia erst seit diesem oder letztem Jahr auf dem Markt und ein guter gebrauchter i3 braucht da den Vergleich nicht zu scheuen.
Die Sache mit der harten Federung
Der grösste Teil der Neuwagenkäufer ist über 50 und damit potenziell Kunde oder Kundin der Ersatzteilchirurgie. Viele Käufer von Elektroautos mit Rücken- oder Hüftproblemen erleben einen neuen Stromer nach längeren Fahrten nach einer mehrstündigen Fahrt oft als schmerzhaft hart gefedert. Der Grund für den oft schlechten Komfort ist die schwere Batterie, aber auch die Kosten einer guten Aufhängung, welche die Preise für ein ohnehin teures Auto weiter in die Höhe treiben würden. Deshalb verbauen viele Hersteller hinten wieder die einstmals verpönte Starrachse, wie man sie von Kutschen, Leiterwagen und dem Ford T kennt. Wer also mit dem neuen Stromer keine schmerzliche Überraschung erleben will, macht damit eine mindestens zweistündige Probefahrt, auch auf Autobahnen und schlechten Strassen, und erkundigt sich nach der Aufhängungskonstruktion. Einzelradaufhängung und Dreieckslenker sind gut, Starrachsen eher nicht. Citroën verspricht mit seinem hydraulischen «Advanced Comfort»-System im ë-C3 oder im Plug-in-Hybrid C5X besseren Federungskomfort, der allerdings noch nicht an die nicht mehr lieferbare legendäre Hydropneumatik heranreichen soll. Aber auch koreanische Hersteller bemühen sich um deutlich aufwendigere, und damit schmerzfreie Aufhängungen.
Plug-in-Hybrid auf acht Rädern
Während der Plug-in-Hybrid mit Elektro- und Verbrennungsmotor wohl eher verschwinden wird, kann man sich durchaus überlegen, das Ganze auf acht Räder zu verteilen. Wer beispielsweise einen gut erhaltenen Dieselkombi hat, kann sich dazu einen gebrauchten elektrischen Kleinstromer für häufige Kurzstrecken kaufen. Das halbiert locker den Verbrauch des Verbrenners, der nur dann nur noch auf jenen langen Autobahnstrecken unterwegs ist, für die er entwickelt wurde. Für den Stadtverkehr reicht auch die kleinstmögliche Batterie. Damit ist der Einstieg in die Elektromobilität schon mit plus minus 10 000 Franken möglich und gleichzeitig entfällt die ökologische Belastung für die Produktion eines neuen grossen Elektroautos.
Im Vergleich von zwei gleich grossen Autos ist ein Stromer ab etwa 50 000 Kilometern oder drei Jahren ökologischer unterwegs als ein Verbrenner. Grund ist der grössere Energieaufwand für die Produktion, vor allem bei der Batterie. Wenn nun aber stattdessen die Hälfte der Fahrleistung mit einem deutlich kleineren gebrauchten Stromer gemacht wird und die andere Hälfte mit einem existierenden Verbrenner, entfällt die neu emittierte graue Energie. Der Schnittpunkt, bei dem sich ein neuer grosser Stromer mit grosser Batterie gegenüber dem nun selten gefahrenen Verbrenner und dem Stromer mit kleiner Batterie ökologisch lohnt, verschiebt sich so um 10 bis 15 Jahre nach hinten, ein Zeitraum, nachdem viele Leute schon wieder an ein neues Auto denken. Einzige Zusatzkosten sind der zweite Parkplatz, und allenfalls doppelte Steuern und Versicherung, falls man nicht mit einer Wechselnummer unterwegs sein will. Für eine solche Lösung eignen sich die Occasionen Nissan Leaf, Renault Zoë, Mitsubishi i-MiEV und die baugleichen Peugeot iOn und Citroën C-Zero, VW e-UP und Škoda Citigo-E, BMW i3 oder der Fiat 500e in der klassischen Form. Die elektrische Version des alten Fiat 500 gab es in Europa nicht, sie wird aber als Occasion aus den USA reimportiert und basiert auf dem rassigen Abarth.
Ökologische Kaufberatung mit dem Klimabilanzrechner
Vergleichen lässt sich die Umweltbelastung aller Fahrzeuge auf der Webseite des TCS. Für die Variante mit dem achträdrigen Hybrid nimmt man am besten die in der in der Schule gelernte Parallelverschiebung zu Hilfe. Wenn Occasionen statt Neuwagen im Vergleich sind, beginnt deren Kurve bei null, weil keine neuen Emissionen für die Produktion entstehen. Das Tool basiert auf aktuellen Daten und Berechnungen des Paul-Scherrer-Instituts (PSI). Dutzende Elektroautos und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sind so miteinander vergleichbar.
Text: Andreas Schwander
Bilder: Autohersteller